Darf “Scoring” im quasi tatsachenfreien Raum stattfinden? Einen neuen Blickwinkel auf einen spezielleren Aspekt der Scoring-Thematik liefert jetzt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Urt. v. 7. April 2015, Az. 24 U 82/14) hinsichtlich der Anforderungen an die tatsächliche Grundlage für das so genannte „Scoring“ einer Wirtschaftsauskunftei. Ergebnis: Auch hier muss die Tatsachengrundlage für die Risikobewertung gewissen Mindestanforderungen genügen.
Wenn sie das so genannte „Scoring“ zu beurteilen haben – also die Messung z.B. des Zahlungsausfallrisikos anhand allgemeiner Kriterien wie Branche, Wohnort usw. – haben es die Gerichte im Allgemeinen zumindest ein klein wenig leichter als zum Beispiel das OLG Köln in der von Nina Diercks besprochenen Entscheidung.
Denn mit § 28b des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) steht immerhin eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Sache konkret regelt. Nach dieser Vorschrift dürfen unter bestimmten Voraussetzungen Daten des Betroffenen für die Berechnung eines Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten einer Person nach allgemein gültigen Kriterien erhoben und verwendet werden.
Dabei ist es aber für den Einzelnen oftmals kaum nachvollziehbar, wie die entsprechenden Score-Werte zu Stande kommen. Regelmäßiger Streitpunkt zwischen Betroffenen, die meist ihre Bonität durch einen Score-Wert falsch dargestellt sehen und entsprechenden Unternehmen ist daher auch die Offenlegung der entsprechenden zwar Formel. Hierzu ist allerdings zwischenzeitlich entschieden, dass diese in der Regel nicht mitgeteilt werden muss, da sie ein Betriebsgeheimnis darstellt ( BGH, Urt. v. 14.1.2014, Az. VI ZR 156/13).
Hintergrund der Entscheidung des OLG Frankfurt
Hierum ging es in dem jetzt vom OLG Frankfurt am Main entschiedenen Fall allerdings auch nicht. Gegenstand des Verfahrens war die Unterlassungsklage einer Einzelfirma in Form eines „eingetragenen Kaufmanns“ wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in dessen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch eine schlechte Bonitätsbewertung.
Die Klägerin ärgerte sich offensichtlich darüber, dass ihr von einem Lieferanten mitgeteilt worden war, dass aufgrund einer zur ihrer Bonität eingeholten Auskunft zukünftig die Lieferung nur noch gegen Vorkasse erfolgen könne, da ansonsten Zahlungsausfälle zu befürchten seien.
Die Klägerin holte daraufhin bei der Auskunftei eine Selbstauskunft ein, welche zur Klärung allerdings nichts beitrug: denn einerseits war schon der Unternehmensgegenstand der Klägerin unrichtig angegeben, andererseits wurde der im System der Auskunftei schlechtest mögliche Risikoindikator („4“) angegeben, obwohl die Klägerin in der Vergangenheit ihre Rechnungen stets brav bezahlt hatte.
Zudem war die entsprechende Auskunft auch noch widersprüchlich, denn an anderer Stelle hieß darin über die Klägerin, sie „zahlt vereinbarungsgemäß“.
Die auf Unterlassung verklagte Auskunftei verteidigte sich vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht mit ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz: Es handele sich bei der Risikobewertung ja nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung (Zu den Unterschieden hier näheres). Ein „Richtig“ oder „Falsch“ gäbe es bei der Risikobewertung nicht. Folgte man dieser Argumentation, so wären Scoring-Bewertungen in letzter Konsequenz nur soweit justiziabel, wie Sie Beleidigungen der Betroffenen Unternehmen enthielten – Also niemals.
Allerdings widerspräche dies deutlich dem eingangs bereits erwähnten § 28b BDSG. Dieser stellt nämlich sehr wohl überprüfbare Anforderungen an die allgemein gültigen Kriterien, welche die Grundlage für die Score in Bewertung bilden.
In Abs. 1 Nr. 1 lautet die Vorschrift:
„Zum Zweck der Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses mit dem Betroffenen darf ein Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten des Betroffenen erhoben oder verwendet werden, wenn
1. die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswerts genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des bestimmten Verhaltens erheblich sind“
(Hervorhebung von mir)
Das Oberlandesgericht hat sich daher mit der Frage zu befassen, ob die für das Scoring im konkreten Fall herangezogenen Kriterien überhaupt geeignet sind, Aussagen über Ein Zahlungsausfallrisiko zu treffen. Bei diesen Kriterien handelte es sich unter anderem um die (falsch gespeicherten) Informationen zur Branchenzugehörigkeit und um die Eigenschaft der Klägerin als Einzelunternehmen. Beides wirkt sich negativ aus. Darüber hinaus wurden Variablen wie das Alter des Unternehmens nicht positiv berücksichtigt. Auch wertete die Beklagte Auskunftei fehlende Informationen zu einem Unternehmen stets negativ. Wer also nie aufgefallen ist, wie unsere Klägerin, der ist eben auch nie „positiv“ aufgefallen – so könnte man die dahinter steckende Logik zusammenfassen.
All dies zusammengenommen veranlasste den Senat dazu, der Klage nicht nur stattzugeben, sondern dies auch in Form einer regelrechten „Klatsche“ zu tun, wie sich aus den folgenden Ausführungen des Gerichts ergibt.
„Die von der Beklagten abgegebene äußerst negative Bewertung der Kreditwürdigkeit Klägerin ist ohne jegliche sachliche Basis. Das gesamte Vorgehen der Beklagten bei der Abgabe ihrer verschiedenen Bewertungen ist von einer verantwortungslosen Oberflächlichkeit geprägt, die das absolute Recht der Klägerin, keine rechtswidrigen Eingriffe in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erleiden zu müssen, schwerwiegend verletzt“
Ausdrücklich hob das Gericht abschließend auch noch einmal den Unterschied zu der oben erwähnten BGH Rechtsprechung zur Herausgabe der „Score-Formel“ hervor: in diesem hatten die Beklagten Scoring-Agenturen (im zitierten Urteil des BGH: die „Schufa“) durchaus Vortrag zu Details der Berechnung gehalten.
Fazit also:
Zumindest nach Auffassung des OLG Frankfurt am Main können sich Auskunfteien beim Scoring weder hinter ihren nach § 34 BDSG geschützten Geschäftsgeheimnissen, noch hinter der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verstecken, wenn sie Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Zahlungsverhalten von Unternehmen treffen. Sie müssen jedenfalls darlegen, dass die zugrunde gelegten Faktoren qualitativ geeignet sind, Prognose zum Beispiel über das Zahlungsausfallrisiko überhaupt zu tragen – und hierfür tragen sie gemäß § 28b Nr. 1 BDSG auch die Beweislast.
Das letzte Wort ist hier allerdings möglicherweise noch nicht gesprochen, denn das OLG Frankfurt hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Korrektur: Wie uns der Kollege RA Dr. Graf, der die Entscheidung erwirkt hat, freundlicherweise mitgeteilt hat, ist eine Revision in der Sache nicht zugelassen, somit bleibt nur die Nichtzulassungsbeschwerde.