„Schleswig-Holstein, das ist eine Wiese nördlich von Hamburg, die von zwei Autobahnen geteilt wird.“ So hat das Oliver Welke, Moderator der „Heute Show“, einmal gesagt und damit dem schönsten Bundesland der Welt (natürlich zu Unrecht) attestiert, dass hierzulande eigentlich nichts von Bedeutung passiert.
Diese Woche nun schlägt Schleswig-Holstein möglicherweise vor dem Bundesgerichtshof zurück: wenn der BGH am 24.1.2013 sein Urteil in Sachen „Internetglücksspiele aus Gibraltar“ verkündet, und falls er dabei das Verbot von Glücksspielen im Internet kippt, dann ist einer der Sargnägel für dieses Verbot in der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt Kiel (sowie wohl auch: auf Sylt) geschmiedet worden. Wie und warum es dazu kommen kann, darum soll es in diesem Beitrag gehen.
Der rechtliche Rahmen fürs Glücksspiel im Internet
Wer verstehen möchte, worüber der BGH am kommenden Donnerstag entscheidet, kommt natürlich nicht darum herum, sich einmal die entsprechenden Rechtsgrundlagen anzuschauen. Dieses Unterfangen an sich ist schon gar nicht so einfach.
Denn wie so oft und wie immer öfter haben wir es mit europäischen Vorgaben (z.B. der Entscheidung des EuGH vom 8. September 2010) auf der einen, Bundesrecht (§ 284 StGB, §§ 33c ff. GewO) auf der anderen und Landesrecht auf einer dritten Ebene (Glückspiel(änderungs-)staatsvertag hier, Schleswig-Holsteinisches Gesetz zur Neuordnung des Glückspiels dort) zu tun.
Dreh-und Angelpunkt des Rechtsregimes über das Glücksspiel bildet dabei der zwischen derzeit 15 Bundesländern bestehende Glücksspielstaatsvertrag, GlüStV. Dieser galt von seinem Inkrafttreten am 1.1.2008 bis 31.12.2011 zwischen allen 16 Bundesländern (rechtstechnisch realisiert über die jeweiligen Zustimmungsgesetze in den Ländern) und statuierte ein staatliches Glücksspiel- und Sportwettenmonopol.
Dementsprechend waren Glücksspiele und Sportwetten in jeglicher Form verboten, wenn sie von privaten Veranstaltern ohne Lizenzen durchgeführt wurden. Und Lizenzvergabe war nicht vorgesehen.
Strafrechtlich flankiert wurde und wird dieses Verbot über § 284 StGB, wonach die „unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels“ mit bis zu zwei Jahren Haft oder Geldstrafe, im Falle der Gewerbsmäßigkeit des Handelns mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird.
„Glücksspiel“ ist dabei ganz grob in zwei Richtungen abzugrenzen: um Glücksspiel handelt es sich nämlich nur dann, wenn der Gewinn des Spiels vom Zufall (und nicht etwa von der eigenen Geschicklichkeit) abhängt; außerdem muss die Spielteilnahme von einem Geldeinsatz abhängen, der nicht völlig unwesentlich sein darf (§ 3 Abs. 1 GlüStV a.F.).
So erklärt sich zum Beispiel die Zulässigkeit von Gewinnspielen im Fernsehen, bei denen jeder Anruf 50 Cent kostet.
Den Grund für die Monopolisierung des Glücksspiels soll dabei der Aspekt der Spielsucht bilden: hinter dem GlüStV steht die Idee, dass nur staatlich gelenktes Glücksspiel in einer so verantwortungsvollen Weise veranstaltet wird, dass nicht der Spielsucht Vorschub geleistet wird. An der Stichhaltigkeit dieser Begründung hat nun allerdings nicht nur das Bundesverfassungsgericht seine Zweifel.
In Bewegung kam die Sache, als der europäische Gerichtshof am 8.9.2010 über das im GlüStV verankerte Verbot privater Sportwetten zu entscheiden hatte und dieses als rechtswidrig ansah.
Der alte GlüStV lief am 31.12.2011 aus und wurde nicht verlängert. Am 15.11.2011 stimmten alle Bundesländer außer Schleswig Holstein einem Glücksspieländerungsstaatsvertrag zu. Der Schleswig-Holsteinische Landtag verabschiedete demgegenüber ein Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels (LGlücksspielG-SH), welches Konzessionen unter anderem für private Anbieter von Online-Casinos ausdrücklich vorsieht (§§ 19,20 LGlücksspielG-SH).
Seitdem vergibt das Schleswig-Holsteinische Innenministerium nun entsprechende Lizenzen (Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrages waren bereits 12 Lizenzen für Online-Casinos vergeben, 18 befanden sich in der „Pipeline“).
Fraglich ist allerdings, wie lange noch: Denn nach dem zwischenzeitlich erfolgten Regierungswechsel in Kiel und den entsprechend geänderten parlamentarischen Mehrheiten soll die Kehrtwende und der Beitritt zum GlüStV erfolgen. Dann wäre (fast) alles wie gehabt: Auch in Schleswig-Holstein würden keine Konzessionen mehr für Glücksspielveranstalter (außerhalb des Bereichs der Sportwetten) vergeben.
Dennoch könnte die Extratour der ehemaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen folgen für das Urteil am kommenden Donnerstag haben.
Streitfall Texas Hold’Em
In dem Rechtsstreit, den das höchste deutsche Zivilgericht am 24.1. entscheidet, geht es um eine Klage der staatlichen Lotteriegesellschaft in Nordrhein-Westfalen („Westlotto”) gegen einen Veranstalter von Glücksspielen aus Gibraltar. Der Rechtsstreit ist wettbewerbsrechtlich aufgehängt: Die Klägerin sieht in dem Angebot der Beklagten einen Wettbewerbsverstoß, welcher sich wiederum aus einem Verstoß gegen das Glücksspielverbot im GlüStV als Marktverhaltensregel ergibt.
Die Beklagte des Ausgangssrechtsstreits ist sogar in Besitz einer entsprechenden gibraltarischen Lizenz, betreibt aber auch ein deutschsprachiges Online-Angebot, in welchem Nutzer auch aus Deutschland sich mit der Poker-Variante „Texas Hold’Em“ vergnügen können.
Die Sache sollte eigentlich klar sein, denn bereits im Jahre 2011 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass entsprechende Angebote Glücksspiele gemäß § 3 Abs. 1 GlüStV a.F. darstellen und daher nach § 4 Abs. 5, 5 Abs. 3 GlüStV verboten sind.
Denn einerseits sei die Frage der Zufallskomponente nach den durchschnittlichen Fähigkeiten eines Spielers zu beurteilen und es sei unerheblich, ob professionelle Spieler oder geübte Amateure sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen aneignen könnten um ihre Erfolgschancen zu steigern; andererseits sei auch ein Einsatz von 50 Cent pro Spiel nicht als unerheblich zu werten, da es in der Regel nicht bei einem einzigen Spiel bleibe. Für die Anwendbarkeit des GlüStV trotz Sitz des Veranstalters auf Gibraltar stellte das Gericht seinerzeit maßgeblich darauf ab, dass sich aus objektiven Aspekten, wie der Verwendung der deutschen Sprache auf der Onlineplattform, schließen ließ, dass sich das Angebot an deutsche Verbraucher (und insbesondere solche aus Nordrhein-Westfalen) richtete.
Danach sollte eigentlich alles klar sein. Die Klage der Lottofirma geht durch. Oder?
Flickenteppich widerspricht Europarecht
Doch so eindeutig ist die Sache nicht mehr, denn seit 2011 haben sich insbesondere durch den Schleswig-Holsteinischen Alleingang Änderungen in der Rechtslage ergeben.
So ließ der 1. Zivilsenat dem Vernehmen nach bereits in der mündlichen Verhandlung am 22.11.2012 durchblicken, dass er an der Rechtmäßigkeit des weitgehenden Verbots des Glücksspiels durch den GlüStV zweifelt.
Soweit Glücksspiele im Internet verboten werden, müsse, so das Gericht „Kohärenz“ gegeben sein. Ein Flickenteppich widerspricht aber dieser europarechtlich geforderten Einheitlichkeit der Regeln zur Suchtbekämpfung. Und genau zu diesem Flickenteppich hat Schleswig-Holstein durch seine Neuregelung des Landes-Glücksspielrechts in 2011 einen maßgeblichen Beitrag geleistet. „Die Wiese schlägt zurück“, könnte man sagen.
Es bleibt also spannend. Denn das Gericht urteilt zwar zur alten Fassung des GlüStV, die europarechtlichen Argumente sind aber auch auf den Glücksspieländerungsstaatsvertrag übertragbar. Und so dürfen die Pokerfreunde gespannt sein, ob sie am Donnerstag den Jackpot gewinnen…
Update, 24.1.13:
Der BGH hat am 24.1.13 beschlossen, die Frage der Verletzung des “Koheränzgebots” dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren vorzulegen. Geprüft wird in diesem Rahmen auch, ob der (beabsichtigte) Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV für eine eventuelle Verletzung des Koherenzgebots von Bedeutung ist. Es bleibt also spannend…