Wenn es im Urheberrecht Streit gibt, stellt sich häufig die Frage nach dem Beginn und dem Ende des Rechts in sachlicher Hinsicht. Also: Welche Voraussetzungen bestehen für den Schutz eines Werks? Und wann ist ein Werk so umgestaltet, dass das “Bestimmerrecht” des Urhebers endet? Wie so oft ist beides theoretisch ganz einfach zu beantworten. Was ein Werk ist, steht ja in § 2 Abs. 1 UrhG. Und wann ein Werk derartig als Grundlage für ein neues Werk dient, dass der ursprüngliche Urheber am neuen Werk keine Rechte mehr geltend machen kann, steht in § 24 UrhG unter der Überschrift “Freie Benutzung”. Allein die Lektüre des Gesetzestextes hilft allerdings in beiden Fragen nicht wesentlich weiter.
Wenn es um Fotografien geht, haben wir es aber zumindest leichter, die Frage nach den Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes zu beantworten. Immer noch nicht überall herumgesprochen hat sich hier, dass für Fotografien (ebenso wie viele andere Leistungen unterhalb der Schwelle zur “Kunst”) spezielle Rechte existieren, die die Frage nach der Schöpfungshöhe obsolet machen. Diese “Leistungsschutzrechte” – für “Lichtbilder” geregelt in § 72 UrhG – haben prinzipiell dieselben Wirkungen wie Urheberrechte, nur in etwas abgeschwächter Form. Und sie führen dazu, dass es für die Frage, ob für ein Foto (überhaupt) Schutz nach dem UrhG besteht, auf eine Schöpfungshöhe (§ 2 Abs. 1 UrhG) nicht mehr ankommt. Denn als Lichtbild ist jedes Foto geschützt, das heißt: Der Fotograf hat an jedem seiner Fotos (jedenfalls) ein urheberrechtsähnliches Recht.
Das “Ende” des Urheber- oder Leistungsschutzrechts ist aber auch bei Fotografien nicht einfach zu bestimmen. Aber gerade Fotografien sind besonders häufig Gegenstand von Umgestaltungen, so dass sich die Frage häufig stellt. Die Grenze zwischen erlaubnispflichtiger Umgestaltung (“Bearbeitung”) und erlaubnisfreier Benutzung verläuft dabei genau zwischen § 23 und § 24 UrhG. § 23 UrhG regelt die Bearbeitung eines Werkes. Bei der Bearbeitung wird ein Werk bereits derart umgestaltet, dass bereits ein neues entsteht, an dem beide, also sowohl der Urheber des alten als auch der Urheber des neuen Werkes Rechte innehaben. im Bereich der literarischen Werke stellt zum Beispiel die Übersetzung eine Bearbeitung dar. Die Herstellung einer Bearbeitung an sich (grundsätzlich) ist erlaubnisfrei. Allerdings: Die Veröffentlichung eines solchen Werkes bedarf (auch) der Erlaubnis des ursprünglichen Urhebers. Der Urheber der Bearbeitung wird daneben aber ebenfalls geschützt (§ 3 UrhG).
Bei der freien Benutzung nach § 24 UrhG ist letzteres nicht mehr der Fall. Der “neue” Urheber darf mit seiner Neuschöpfung tun und lassen was er will. Genau deshalb ist der Wunsch danach, die Grenze zwischen § 23 und § 24 UrhG möglichst millimetergenau zu bestimmen, so groß.
Abgesehen von einigen groben Leitlinien verweist uns die Rechtsprechung bei der Bestimmung dieser Grenze aber leider auf den Einzelfall. Jedenfalls auf der sicheren Seite soll man sein,
- wenn angesichts der Eigenart des neu geschaffenen Werks die Züge des Ursprungswerks verblassen und es in den Hintergrund tritt und/oder
- wenn durch kritische Auseinandersetzung mit dem Ursprungswerk, z.B im Wege der Parodie oder Satire ein innerer Abstand zum Ursprungswerk hergestellt wird.
Man kann also sagen: Das ursprüngliche Werk soll in den Fällen der freien Benutzung als “Inspiration” gedient haben.
Ein schönes Beispiel für den Einzelfall einer sehr gelungenen freien Benutzung (das gleichzeitig Inspiration für diesen Text war), ist mir auf einer Veranstaltung im August begegnet.
Ich hatte am Ende des ersten Tages des Barcamps Kiel folgendes Foto auf Twitter gepostet:
Etwa einen Tag später erschien dieser Tweet – Es hatte (Für mich) offensichtlich mein Foto hier als Vorlage gedient.
Aber ebenso offensichtlich lag hier ein völlig neues Werk vor, das mein Foto zwar zur Grundlage hatte, dieses aber völlig in den Hintergrund treten ließ. Ein eindeutiger (Siehe Kommentare) Fall von “freier” Benutzung: Die Künstlerin @GabrieleBartsch brauchte mich also nicht zu fragen, ob sie ihre Zeichnung, die auf meinem Foto beruhte, auf Twitter veröffentlichen durfte (Dass ich diese Erlaubnis ggf. auch sofort erteilt hätte, ist selbstverständlich, steht aber auf einem anderen Blatt).
Ein illustratives Gegenbeispiel:
Ein Kreisverband der “Alternative für Deutschland” verwendet ein verändertes Foto in einer Broschüre, das “linke Gewalt” illustrieren soll. Die Veränderung besteht dabei darin, dass man einem vermummten Abgebildeten einen “Antifa”-Aufnäher auf die Jacke montiert. Als diese Sache vor ein paar Wochen bekannt wurde, rechtfertigte sich der für die Fälschung Verantwortliche auch (zunächst) damit, dass die Rechte an dem ursprünglichen Foto erloschen seien, da das Foto ja verändert worden sei.
Rechtlich darf man diese Äußerungen wohl derart deuten, dass es sich um eine freie Benutzung handeln soll. Dass dies nicht der Fall ist, ist offensichtlich: Die Verfälschung des Fotos hat natürlich keinerlei künstlerischen Wert. Erst recht nicht tritt das ursprüngliche Werk in den Hintergrund. Eine irgendwie geartete rechtliche Privilegierung ist mit einer solchen Sinnentstellung nicht verbunden. Der Fotograf hat ohne weiteres das Recht, die derartige Nutzung des Fotos zu verbieten. (Im konkreten Fall kommt es übrigens wegen des im Urheberrecht geltenden Territorialiätsprinzips auch nicht darauf an, dass der Fotograf Italiener war. Soweit es die Nutzung, im konkreten Fall: Die Verbreitung durch Print in Deutschland betrifft, ist deutsches Urheberrecht direkt anwendbar). Einen Bericht des NDR hierzu gibt es hier. Und der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass die Broschüre zwischenzeitlich zurückgezogen und Fehler eingeräumt wurden. Der Rechtsstaat funktioniert hier also irgendwie doch noch.
Parodien
Eine Fallgruppe, die bereits relativ häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war, ist die der Parodie. Vor allem satirische Asterix-Comics haben hier die Gerichte beschäftigt, zu Grunde lagen hier meist mehr oder minder lustige Comics, die die Figuren der bekannten Comic-Reihe in neue Kontexte setzten (“Isterix” / “Asterwix” und ähnliches, Zusammenstellung der Uni Würzburg). In Bezug auf diese Fälle gibt es die Besonderheit, dass den Charakteren Asterix und Obelix selbst Schöpfungshöhe zukommen soll, sie also eigenständigen Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz beanspruchen können. Deshalb geht die Rechtsprechung in den Fällen, in denen die wesentlichen Merkmale dieser Charaktere übernommen werden, eher von einer Urheberrechtsverletzung (also einer Bearbeitung und keiner freien Benutzung nach § 24 UrhG aus).
Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf Fotos hat satirisch gemeinte Fotos zum Gegenstand. Hier hatte dei “BZ” aus Berlin dazu aufgerufen, Fotos von Prominenten zu verfremden, so dass sie besonders fett aussahen. Eine der Einsendungen wurde veröffentlicht, der Fotograf der Ursprungsfotografie wehrte sich und klagte. Wer mag, kann sich das Corpus Delicti in der Entscheidung des BGH (Urteil vom 28.7.16, Az. I ZR 9/15) selbst ansehen.
Das Bemerkenswerte an dieser Entscheidung ist, dass der BGH nunmehr wegen der Europarechtlich besonders definierte Schutzschranke der Parodie jedenfalls in Hinblick auf diese nicht mehr fordert, dass für eine freie Benutzung nach § 24 UrhG ein neues, eigenständiges Werk geschaffen worden sein muss:
An dieser Rechtsprechung wird im Hinblick auf die urheberrechtliche Beurteilung von Parodien, Karikaturen und Pastiches wegen der insoweit maßgeblichen unionsrechtskonformen Auslegung von § 24 Abs. 1 UrhG nicht festgehalten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union setzt eine Parodie nicht voraus, dass die neue Gestaltung einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen (EuGH, GRUR 2014, 972 Rn. 21 – Deckmyn und Vrijheidsfonds/ Vandersteen u.a.; vgl. auch Lauber-Rönsberg, ZUM 2015, 658, 666).
(Hervorhebung von mir).
Insoweit kann man also sagen: Parodien haben es als solche etwas leichter, als freie Benutzung angesehen zu werden. In Hinblick auf das konkrete Beispiel sei aber noch darauf hingewiesen: Die Frage, welche Entstellung und Lächerlichmachung eine Person erdulden muss, ist keine Frage des Urheberrechts sondern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und muss gesondert geprüft werden.
Nachstellen von Fotos
In der Praxis recht häufig ist folgende Konstellation: Ein Fotograf oder eine Agentur möchte gern ein Motiv für eine Anzeige oder auf andere Weise verwenden. Das Problem: Genau dieses Motiv existiert bereits. Die Gründe dafür, dass “Original” nicht lizenzieren zu wollen, können dabei ganz unterschiedlich sein. Vielleicht ist die Lizenz schlicht zu teuer, oder das Ursprungsmotiv weicht im Detail von dem gewünschten ab. Auch hierzu existiert natürlich Rechtsprechung, ganz grundsätzlich setzte sich der Bundesgerichtshof im Jahre 2003 in der Hundertwasser-Entscheidung hiermit auseinander. Es soll für die Zulässigkeit der Nachstellung danach darauf ankommen welche eigenschöpferischen Merkmale die Ursprungsfotografie aufwies, und inwieweit genau diese in der Nachahmung übernommen wurden. Hier geht es dann also doch wieder um die Schöpfungshöhe: Das Motiv muss erst einmal eigenschöpferische Merkmale aufweisen, das heißt: Es muss an sich bereits überdurchschnittlich originell sein, was dann nicht der Fall ist, wenn es selbst nur den x-ten Aufguss eines bekannten Motivs darstellt.
Leider sind die Grenzen auch hier im Einzelfall fließend. Nicht vergessen werden darf hier aber, dass das Urheberrecht ganz grundsätzlich kein absolutes Schutzrecht darstellt. Denn wenn es gelingt, nachzuweisen, dass eine Fotografie überhaupt keine Nachahmung eines bereits vorhandenen Motivs sondern eine davon unabhängige, eigenständige Schöpfung ist, liegt eine so genannte “Doppelschöpfung” vor. Zwei Kreative hatten also den gleichen Einfall. In diesem Fall kann keiner dem anderen die Nutzung seines Werks verbieten.
Die oben genannten Maßstäbe helfen dabei, den ein oder anderen Fall selbst (besser) einzuschätzen – die gewissenhafte Prüfung im Einzelfall ersetzen sie leider nicht.
Ob bei der Zeichnung das Foto wirklich in den Hintergrund tritt, halte ich nicht für so eindeutig. Bekanntlich kann die von einer Fotografie übernommene Silhouette einer Person ausreichen, das Werk durchscheinen zu lassen. In meiner Praxis haben irgendwie immer die bearbeiteten Werke durchgescheint.
(Anders beim Nachstellen von Fotos.)
Vielen Dank für den Kommentar – Wie immer: zwei Juristen, drei Meinungen. Allerdings würde ich dennoch bei meiner bleiben (unter anderem auch wegen des ja über die Ursprungsfotografie hinausgehenden Aussagegehalts der Zeichnung). Aber einen absoluten Anspruch auf Richtigkeit der Ansicht erhebe ich am Ende natürlich auch nicht. Ich habe die zweifelnde Ansicht aber zum Anlass für eine redaktionelle Korrektur genommen ;).