50.000 € Ordnungsgeld gegen BILD: Mob gegen Mob

G20-Proteste in Hamburg, 2017 (Foto: Thorsten Schröder, Lizenz: CC-BY-2.0).

“Der Mob wird’s schon richten.” – in diese Richtung verstehe ich einen Text aus dem Februar 2019 von Sascha Lobo auf Spiegel Online in Bezug auf die Frage, ob “private Social Media Notwehr” zulässig sein soll, damit meint der Autor das Posten von Bildmaterial, das vor Gewalttätern “warnen” soll.

Interessanter Weise am selben Tag wie der oben verlinkte Text erschien eine Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt, aus der hervorgeht, dass der Axel-Springer-Verlag wegen der Verletzung einer gerichtlichen Unterlassungsverpflichtung in Zusammenhang mit den “Fahnungsaufrufen” nach den G20-Krawallen in Hamburg ein gegen ihn verhängtes Ordnungsgeld von 50.000 € wirklich zahlen muss (OLG Frankfurt a.M. Beschl. v. 29.1.2019 Az. 16/W 4/19).

Worum ging es?

Dem Ordnungsgeld zu Grunde lag eine einstweilige Verfügung einer Teilnehmerin an den Teils gewalttätigen Protesten im Sommer 2017 in Hamburg, an deren Rand wohl auch irgendeine staatstragende Veranstaltung mit Musik stattfand (“G20-Gipfel”) und verzweifelte Bürgermeister die Lage mit verwackelten Handyvideos unter Kontrolle zu bringen versuchten.

Antragstellerin und (Verfügungs-) Klägerin des ursprünglichen Verfügungsverfahrens war ein Opfer eines BILD-Fahndungsaufrufs (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 08.08.2017, bestätigt durch Urt. v. 14.12..2017, Az. 2-03 O 292/17). Die junge Dame hatte an Demonstrationen teilgenommen und sich auch von Ausschreitungen jedenfalls nicht ferngehalten. Fotoaufnahmen zeigten sie unstreitig dabei, wie sie Waren, die vor einem Supermarkt im Schanzenviertel, der gerade geplündert worden war, aufhob. BILD nahm einen Bildausschnitt, zoomte heran und suchte nach der Klägerin:

“Mit Steinen, Molotow-Cocktails und Stahlgeschossen wurden Polizisten beim Hamburger G20-Gipfel von Kriminellen angegriffen. Wer kann die Verbrecher identifizieren?”

BILD, 10.7.17

In diesem Stil ging es weiter. Die Rede ist von “Schwerkriminellen” (die zweifellos auch vor Ort waren). Nur eben wollte sich die Klägerin diesen Schuh nicht anziehen, und zwar auch nicht, obwohl sie zweifellos “da” war und auch Waren an sich genommen hat, die ihr nicht gehörten, um sie für sich zu verbrauchen, nämlich u.a. Wasser, Süßigkeiten und Kaugummies. Über “Diebstahl” und “Unterschlagung” kann man also sprechen.

Für “BILD” reichte das aber offenbar nicht. Die Klägerin war für BILD Teil des Mobs und damit auch für alles verantwortlich zu machen, was der Mob so macht, so jedenfalls war die “Berichterstattung” wohl zu verstehen, die in Wahrheit nichts anderes war als ein privater Pranger und “Fahndungs”-Aufruf. Und deshalb hat das Landgericht Frankfurt die beantragte einstweilige Unterlassungs-Verfügung gegen BILD erst erlassen und, nachdem gegen den Beschluss Widerspruch eingelegt worden war, nach mündlicher Verhandlung auch noch einmal bestätigt.

Bild durfte die Klägerin also nicht mehr wie geschehen zeigen. Denn die Klägerin war erkennbar, hatte nicht, wie es § 22 KUG erfordert, eingewilligt und nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung war eine identifiierende Berichterstattung eben nicht zulässig.

Zweiter Akt: Ordnungsgeld

Unterlassungstitel werden vollstreckt nach § 890 ZPO. Danach ist der Unterlassungsschuldner

wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen.

So steht es dann auch im Unterlassungstenor, also dem Urteilsausspruch eines Unterlassungstitels (Die Ordnungshaft wird darin dann übrigens dem Vorstandsvorsitzenden des Verlages angedroht). Die aktuelle Entscheidung dreht sich also nun nicht mehr um die Unterlassungsverfügung an sich, sondern um ein gegen den Springer-Verlag verhängtes Ordnungsgeld in Höhe von 50.000 €.

BILD hatte nämlich das fragliche Foto der ursprünglichen Klägerin entgegen dem Unterlassungstitel erneut veröffentlicht, dabei aber einen anderen Bildausschnitt gewählt. Der Taschenspielertrick, wenn es denn einer war bestand darin, dass das Foto der Klägerin, das “Verletzungsmuster” ursprünglich nur ein Ausschnitt einer Fotografie war.

BILD veröffentlichte nun einfach das ganze Foto. Man meine nun wohl, dass man das landgerichtliche Urteil dadurch umgehen zu können, dass man ein “anderes” Bild verwendete als dasjenige, das Gegenstand des Verfügungsverfahrens war (und einige andere Bilder aus derselben Serie).

Dem erteilte das OLG Frankfurt allerdings eine Absage: Die Zeitung habe “bewusst und gewollt versucht, die Entscheidung des Landgerichts zu umgehen.” – Es handele sich aber um das gleiche Bild, somit muss das Ordnungsgeld nun gezahlt werden. Das ist rechtlich gesehen natürlich alles andere als überraschend (denn der Bildausschnitt ist ja im Gesamtbild mit enthalten, so dass man sich nicht mal Gedanken darüber machen muss, wie “ähnlich” sich nun Ausschnitt und ganzes Foto sind). Immer wieder erstaunlich (wenn auch ebenfalls nicht mehr wirklich überraschend) ist da schon eher, mit welcher Vehemenz und voller Absicht manche Medien Persönlichkeitsrechte weiterhin verletzen, obwohl Gerichte sie bereits zur Unterlassung verurteilt haben.

In diesem Zusammenhang nun auch folgender der Disclaimer: Ich bin weit davon entfernt, die G20-Krawalle zu verharmlosen. Sie haben in dem Hamburger Stadtteil stattgefunden, in dem sich mein Büro befindet und in dem ich mich regelmäßig bewege. Bekannten wurden ihre Kleinwagen angezündet. Mir fehlt also jedes Mitgefühl für Tatverdächtige und Täter, die gefasst wurden. Möge die Justiz sie die ganze Härte des Gesetzes spüren lassen, wie es sich gehört. Mögen Zeitungen sich darauf beschränken, über Ereignisse zu berichten.

Aber diese Zeitung liegt mit der Attitüde, sich nicht auf die Rolle des Berichterstatters beschränken zu wollen, wohl voll im Zeitgeist. Der begreift geltendes Recht immer mehr als überflüssige Formalie, wenn es doch eigentlich darum geht, zwischen “uns” und “denen” zu unterscheiden.

… Ist ja auch viel einfacher. Krawallo ist eben Krawallo. BILD ist da schon ein paar Schritte weiter als Sascha Lobo, der immerhin in seiner Kolumne noch die Frage diskutiert, ob man wirklich jede Debatte auf das rein juristische Spielfeld ziehen sollte. Ob es denn nicht auch um “Ethik” geht. Diese Fragen haben sie bei BILD längst beantwortet: Natürlich geht es nur noch um, nunja, “Ethik”, also eigentlich darum, was sich gerade richtig anfühlt. Und wenn es sich richtig anfühlt, einen Mob gegen einen Mob in Stellung zu bringen, dann wird es eben gemacht. Das ist im Bereich der Revolverpresse eigentlich auch nichts wirklich Neues.

Als neu nehme ich es aber wahr, dass vor allem Persönlichkeiten, die von den “sozialen” Medien ins Rampenlicht gespült wurden (und die ich zum Teil eigentlich bis lang als ganz vernünftige Stimmen wahrgenommen habe), sich dafür einsetzen, das Recht auch mal “Recht” (oder “Täterschutzreflex”) sein zu lassen und stattdessen lieber nach Guten (also irgendwie ethisch im Sinne der eigenen Empfindung dafür, was “richtig” ist handelnden) und bösen Mobs zu differenzieren.

Das finde ich beunruhigend.

Über Stephan Dirks

Stephan Dirks ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheberrecht & Medienrecht und Inhaber der Kanzlei DIRKS.LEGAL.

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