Stellen Sie sich kurz vor, Sie haben auf Ihrer Webseite oder in einem Inserat bei Ebay ein Foto benutzt, ohne so genau zu wissen, ob Sie das eigentlich durften. So etwas passiert ständig: Aus Unwissenheit oder “im Eifer des Gefechts”, also irgendwie versehentlich oder auch absichtlich in der etwas naiven Annahme “merkt schon keiner”. Merkt natürlich doch einer, Sie bekommen eine Abmahnung, ärgern sich erst; erfahren dann, dass Ärgern nichts bringt, löschen das Foto, unterschreiben eine – vielleicht auch “modifizierte” – Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung und zahlen. Haken die Sache ab.
Aber dann kommt wieder ein Brief vom gegnerischen Anwalt.
Was will der jetzt noch?
Inhalt:
Unterlassungserklärung als Lizenz zum Gelddrucken
Leise klopft an dieser Stelle allerdings die Realität an und meint: Ich bin leider oft ganz anders.
Beinhaltet “Unterlassen” überhaupt auch “Löschen”? Und was bedeutet eigentlich “öffentlich” in “öffentlich Zugänglichmachen”?
Der Fotograf, sein Anwalt und ich – Recht viele Personen?
Wasser in den Wein: Besonderheiten des Einzelfalls
Fazit
Man habe da ein paar Recherchen angestellt, heißt es darin: Obwohl Sie das Foto angeblich gelöscht haben wollen, sei es noch Online. Unter der URL “…-meineseite. com/images/j92jfjo8jhgs72kd03.jpg” ist es noch abrufbar, ein Screenshot beweist es. Sofort wird Ihnen klar: Das stimmt. Denn Sie haben das Foto zwar in ihrem CMS – wie etwa Joomla, WordPress oder Typo3 – von “der Seite” gelöscht oder ihr Ebay-Inserat deaktiviert. Aber die Bilddatei ist auf dem Server geblieben. Und dort schnappt die Falle dann zu.
Unterlassungserklärung als Lizenz zum Gelddrucken
Eine der Merkwürdigkeiten >(nicht nur) des deutschen Immaterialgüterrechts besteht darin, dass Dreh- Angelpunkt bei der Erfüllung von Unterlassungsansprüchen regelmäßig die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ist, also ein vertragliches Versprechen, das beinhaltet, eine begangene rechtswidrige Handlung in Zukunft nicht mehr zu begehen.
Um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen und einen Unterlassungsanspruch endgültig zu erledigen, muss dieses Versprechen regelmäßig “strafbewehrt” sein, das heißt: Der Unterlassungsschuldner muss eine Vertragsstrafe für den Fall versprechen, dass er das Unterlassungsversprechen bricht (Einzelheiten dazu hier). Wenn diese Erklärung abgegeben wird, meint die ständige Rechtsprechung sinngemäß:
Wunderbar, nun können sich alle sich ja darauf verlassen, das der Rechtsfrieden nicht weiter gestört wird. Die Angelegenheit wurde ja außergerichtlich erledigt, kein Gericht musste einschreiten. Die Anwälte können ihre Akten schließen. Alle gehen nach Hause. Abspann.
Leise klopft an dieser Stelle allerdings die Realität an und meint: “Ich bin leider oft ganz anders”
Denn tatsächlich geht es mit den Streitigkeiten nach der Abgabe der Unterlassungserklärung oft erst richtig los (weswegen es auch in manchen Fällen ratsam sein kann, sich eher gerichtlich verurteilen zu lassen, als eine Unterlassungserklärung abzugeben).
Denn die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verwandelt einen abstrakten Anspruch auf eine Unterlassung in einen konkreten Anspruch auf Geld. Und zwar viel Geld.
Vertragsstrafen unter 2.500,00 € sind selten (und zwar auch aufgrund einer Rechtsprechung, nach der Vertragsstrafe in diesen Fällen nur sein kann, was richtig weh tut.). Und Geld verdirbt bekanntlich den Charakter. In Bezug auf unsere Konstellation heißt das: Die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung motiviert den Unterlassungsgläubiger regelmäßig dazu, auf kleinlichste Art nach (vermeintlichen) Verstößen gegen die Unterlassungserklärung zu suchen.
Während ich diesen Text verfasse, habe ich einen Fall auf dem Tisch, in dem ein Fotograf ein 15 Jahre altes Foto von sich in irgendeinem Online-Archiv gefunden hat und nun eine Vertragsstrafe aus einer Unterlassungserklärung fordert, ohne den geringsten Beleg dafür zu liefern, dass die angebliche Unterlassungsschuldnerin mit der Veröffentlichung irgendetwas zu tun hat.
Kein Wunder: Gemeinsam mit dem Lizenzschadensersatz – der natürlich nach der so genannten “MFM-Liste” (mehr dazu hier) und damit überhöht berechnet ist – kommt er auf ein fast fünfstelliges Sümmchen, das für diese “Rechtsverletzung” aufgerufen wird. Solche Summen wären mit der normalen Lizenzierung “oller Kamellen” natürlich niemals zu erwirtschaften.
Die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung wird also sinnwidrig als Monetarisierungshebel benutzt. Kann man doof finden. Ist aber üblich und das Recht gibt es her.
Beinhaltet “Unterlassen” überhaupt auch “Löschen”? Und was bedeutet eigentlich “öffentlich” in “öffentlich Zugänglichmachen”?
So kommt es dann, dass sich die Gerichte, die sich eben noch darüber gefreut haben, dass das Modell “Abmahnung und Unterlassungserklärung” so schön für Rechtsfrieden sorgt, häufig mit Streitigkeiten darüber befasst sind, ob Vertragsstrafen aus Unterlassungserklärungen geschuldet werden (oder nicht). Verschiedene Teilaspekte waren bereits Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen – zum Beispiel der, ob “unterlassen” auch bedeutet, dass ein Inhalt erstmal “gelöscht” werden muss. Denn nur dann wäre ja das Vergessen des Löschens eines Fotos überhaupt als Verstoß zu werten.
Antwort dazu: Leider ja, aber: “Ja”.
“Unterlassen” klingt zwar nach “Nichtstun”, beinhaltet aber manchmal auch “Handeln”, nämlich konkret: Beseitigen des Rechtsverstoßes (BGH, Urteil vom 13.11.2013 – Az. I ZR 77/12 – Vertragsstrafenklausel).
Besonders häufig ist dabei – neben Fällen, in den es versäumt wird, die Löschung bei Dritten zu veranlassen, etwa dem Google Cache oder anderen Verzeichnisdiensten – die Konstellation aus dem Einstieg zu diesem Beitrag: Ein Foto wird zwar im CMS gelöscht, aber die Datei wird auf dem Server vergessen. Dort bekommt sie zwar meist buchstäblich niemand mehr zu sehen, weil sie nicht mehr in eine Webseite eingebunden ist. Man müsste schon die konkrete URL der Bilddatei kennen (oder die Google-Rückwärts-Bildersuche bemühen), um sie abzurufen.
Wenn ich gerade “niemand” schrieb, dann stimmt das natürlich nicht ganz: Der Fotograf und sein Anwalt, die kennen die URL natürlich. Dazu gleich.
Bislang war die Rechtsprechung der Instanzgerichte in diesen Fällen recht eindeutig: “Öffentlich zugänglich” gemacht wird ein Foto auch dann, wenn es einsam und vergessen auf einem Server m Internet herumliegt, ohne irgendwo “verlinkt” zu sein. Denn zugänglich ja ist eine Datei auch dann, wenn niemand von ihr Kenntnis nimmt.
Dass das in jedem Fall so richtig ist – daran konnte schon länger zweifeln, wer die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe kennt, der auch für das Verständnis des Unterfalls der “öffentlichen Zugänglichmachung” in § 19a des deutschen UrhG maßgeblich ist.
Dieser fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und ist damit richtlinienkonform auszulegen.
Hier ist die Sache dann schon gar nicht mehr ganz so einfach. Der EuGH nimmt nämlich eine wertende Betrachtung vor und verlangt für die Annahme einer öffentlichen Zugänglichmachung, die Abrufbarkeit für “recht viele Personen”.
Der Fotograf, sein Anwalt und ich – “Recht viele Personen?”
Aus Verletzersicht lautet die Frage also: “Der Fotograf, sein Anwalt und ich” – sind das nun schon recht viele Personen?
In seiner Lautsprecherfoto-Entscheidung urteilte der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20) nun, durchaus überraschend: Nein.
Jedenfalls dann nicht, wenn das vormals in einem Ebay-Inserat verwendete Foto nur noch übe die URL, die “eine über 70-stellige Folge von groß und klein geschriebenen Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern” enthält “von jedem PC mit Internetfunktion weltweit” abrufbar ist. (Hinweis des Autors an dieser Stelle: heute nennt man sowas wohl einfach Endgerät; soweit ein Endgerät seltsamerweise nicht mit “Internetfunktion” ausgestattet ist, sagt man dazu “Air Gapped Computer”).
Der BGH meint nun zur Frage der “Öffentlichkeit”:
Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Wiedergabe gegenüber “recht vielen Personen” liege auf der Grundlage der vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht vor. Das streitgegenständliche Foto sei nur durch die Eingabe der rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich gewesen. Damit beschränke sich der relevante Personenkreis faktisch auf diejenigen Personen, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der eBay-Anzeige des Beklagten frei zugänglich gewesen sei -abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden sei. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass außer dem Kläger noch “recht viele” andere Personen die URL-Adresse gekannt und Zugang zu dem Foto gehabt haben könnten. Diese tatgerichtliche Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand
BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20 – Lautsprecherfoto
Womit im konkreten Fall die Vertragsstrafenforderung in sich zusammenfällt: Denn wo nicht “recht viele” Personen abrufen können, dort keine öffentliche Zugänglichmachung, und wo keine öffentliche Zugänglichmachung, da kein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung.
Klingt aus dem Blickwinkel des Unterlassungsschuldners erst einmal wie ein Game-Changer für Fälle der “vergessenen Fotos”. Die Krux könnte aber in der (eher fehlenden) Verallgemeinerungsfähigkeit der Entscheidung liegen.
Wasser in den Wein: Besonderheiten des Einzelfalls
Denn der Einwand, dass ein Foto über die Google-Bildersuche oder etwa den Google Cache sehr wohl für recht viele Personen abrufbar ist, ist zum einen nur pauschal (also ohne nähere Nachweise) und zum anderen viel zu spät im Verfahren erfolgt, ohne dass sich der BGH hiermit noch auseinandersetzen musste.
Es ging also bei seiner Entscheidung davon aus, dass das fragliche Foto, wie es das Landgericht zuvor bereits festgestellt hatte, nicht auf eine andere Weise als durch Eingabe des Links auffindbar gewesen sei.
Die Gründe dafür, warum diese Gesichtspunkte durch den Kläger nicht eher zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden, kennen wir nicht. Dies sind aber Gesichtspunkte, die den Fall eher untypisch machen.
Fazit:
Ob tatsächlich eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben werden sollte, muss im Einzelfall genau geprüft werden. Wer es tut, sollte auch weiterhin genau seine Löschungsverpflichtungen kennen und sie auch – vor der Abgabe der Erklärung – überprüfen.
Allein die theoretische Erreichbarkeit eines Inhalts über eine sehr lange URL, die im Zweifel außer den Verfahrensbeteiligten kaum jemand kennt, reicht nach der Lautsprecherfoto-Entscheidung grundsätzlich aber nicht mehr, um eine Vertragsstrafe fordern zu können.
Eine bedauerliche Entscheidung, wie ich finde.