Unwort des Jahres 2012: Netzgemeinde

“Die Aktion »Unwort des Jahres« möchte auf öffentliche Sprachgebrauchsweisen aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene […] Formulierungen, um damit zu sprachkritischer Reflexion aufzufordern.”

 

So steht das da unter auf der Unwort-Website und der Reflexionsaufforderung komme ich gerne nach: Es dürfte bereits im Februar amtlich sein, was im Dezember zum “Unwort des Jahres 2012” gekürt werden muss: Nämlich der Begriff der “Netzgemeinde“.

Er ist nämlich schon deshalb sprachlich unangemessen, weil er etwas bezeichnet, das es schlicht und einfach nicht gibt. Und weil die ständige Benutzung des Begriffs dennoch vortäuscht, es gebe seinen Gegenstand.

Eine “Netzgemeinde” existiert aber ebensowenig wie eine “Zeitungslesergemeinde”,Fernsehgemeinde” oder eine “Telefonierergemeinde”.

Sicherlich, ja doch: Es lässt sich eine Gruppe zahlenmäßig erfassen, deren einzige Gemeinsamkeit die Internetnutzung ist. Dies ist allerdings eine Zahl, die vor allem Vertriebsmitarbeiter von Internet-Providern interessieren, für die meisten anderen Menschen aber verhältnismäßig wenig Bedeutung haben dürfte.

Auch könnte man natürlich Statistiken darüber erstellen, wie viele natürliche Personen in Deutschland einen “facebook”-Account haben oder Nachrichten per “twitter” verbreiten. Diese Zahlen entsprechen sich übrigens nicht annäherend, und die Überschneidungen beider Gruppen dürften geringer sein als manche Zeitung so denkt.

Eine “Gemeinde” im Sinne eines “Gesellschaftlichen Gebildes, einer Gemeinschaft mit höherem Organisationsgrad” wird aus einer solchen Zahl aber noch lange nicht.

Ohnehin wäre wohl die zahlenmäßige Erfassung derjenigen, auf die die oben genannten Merkmale kummulativ nicht zutreffen, wesentlich einfacher, weil deren Zahl ja geringer ist. Und immer geringer wird.

Diese Gruppe könnte fortan genausogut als “Hinter-dem-Mond-Gemeinde” firmieren und, bitteschön, auch nur noch als homogenes Gebilde referenziert werden.

Im Netz gibt es jedenfalls zu jedem Thema jede Meinung zu erfahren. Es gibt Nazis, Kommunisten, Spinner, Genies, Verschwörungstheoretiker, Urheberrechts-Abschaffer, Urheberrechts-Anwälte, Leute die von allem Ahnung haben, Leute die von nichts eine Ahnung haben, Sascha Lobo, Ansgar Heveling und… jaja, genau: Leute die alles, was Joachim Gauck je von sich gegeben hat – oder jedenfalls das, was sie verstanden haben –  ablehnen.

Nur eine Gemeinde gibts nicht. Nirgends.

 

Stephan Dirks

Stephan Dirks ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheberrecht & Medienrecht und Inhaber der Kanzlei DIRKS.LEGAL.

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