ICE auf dem Weg von München nach Hamburg. Eine Schulklasse belegt 90% des Großraumwagens, alle etwa um die 17 Jahre. Größtenteils Mädchen bzw. (sehr) junge Frauen, ich habe nichts besseres zu tun, als passiv an ihrem Gespräch teilzunehmen. Dabei werde ich durchaus überrascht. Die jungen Damen vermögen sich nämlich auf einem Niveau über deutsche Literatur zu unterhalten, die einem Proseminar in Germanistik durchaus keine Schande gemacht hätte. Dann wechselt das Thema und der soeben gewonnene, in jeder Hinsicht positive Eindruck über die heutige Jugend verkehrt sich in sein Gegenteil.
Nunmehr sind Jungs, bzw. (sehr) junge Männer das Thema der drei Damen vom Grill. Wie es das Schicksal will, ist eine der drei gerade „verlassen“ worden. Soweit man in diesem Alter von „verlassen“ sprechen kann. Sagen wir: „She got ditched.“ – “Er” hat also eine Neue. Nun plant “Sie” ihre Rache. Diese soll, so heckt sie zusammen mit ihren literaturfesten Freundinnen aus, mit Hilfe von SchülerVZ durchgeführt werden. Es geht darum, kompromittierende Videos der Neuen des „Ex“ einzustellen (sozusagen als Negative-Campaigning) sowie eine flankierende „positive“ Kampagne derselben Art, nur dass die Positiv-Videos den Ex mit der jetzt sich rächenden zeigen sollen. Beim Knutschen.
Tja nun. Ich habe mich nicht eingemischt. Man war ja selbst mal jung – also: „so“ jung. Allerdings hatte man damals eben zwar ebenfalls Reclam-Hefte („Kabale und Liebe“) zur Verfügung, aber eben kein SchülerVZ. Und das scheint mir in gewissen Kreisen doch ein Problem zu sein. Also nicht SchülerVZ, sondern das Zur-Verfügung-Haben desselben unter gleichzeitiger Abwesenheit jeglicher Ahnung über Risiken oder auch rechtliche Rahmenbedingungen. Um mal den Bogen zum Blog-Thema zu spannen.
Neinein, nicht missverstehen: Ich bin wirklich weit von der verkorksten Verteufelungattitüde eines Gerhart Baum oder Alfred-Biolek entfernt (letzterer ist ja erklärtermaßen stolz darauf, dass sein Büro ihm seine E-Mails erst ausdruckt und dann zufaxt). Aber es gibt doch ein Problem, nämlich eines zwischen Tatstatur und Bildschirm. Und das heißt Mangel an Medienkompetenz. Dagegen muss was getan werden.
Szenenwechsel. Symposium über Chancen und Risiken des Web 2.0 im Unternehmenseinsatz am 01.07.09 in der Kieler Fachhochschule. Keynote Speaker ist Torsten Albig, den meisten bekannt als Kiels neuer, twitternder Bürgermeister.
In seiner bemerkenswerten Note beklagt der Kieler Neu-OB überraschender Weise die Kritiklosigkeit und begeisterte Naivität, mit der seine Twitter-Follower teilweise Wahlkampf-Tweets aufnahmen. Da herrsche, so Albig sinngemäß, teilweise wohl die Ansicht vor, dass der twitternde Politiker aus reiner Menschenfreundlichkeit zwitschert, während dies in Wirklichkeit eben oft Teil einer gut getarnten Marketingmaschinerie sei. Auch twitterten Bundespolitiker, soweit er das wisse, in den seltensten Fällen selbst. Ich meine, im Auditorium überraschte Gesichter gesehen zu haben. Mein eigenes sah auch so aus. Weniger wegen der Botschaft sondern mehr ob der Person des Überbringers.
MedienINkompetenz ist also weit verbreitet: Sowohl auf Seiten von Informationssendern als auch auf Empfängerseite, wobei sich freilich beides oftmals in der selben Person vereinigt. Das macht ja gerade das Web 2.0 aus. Das ist eigentlich nicht hinnehmbar – wo doch viele vertreten, es handele sich bei der Nutzung des Internet um eine Kulturtechnik, dem Lesen, Schreiben oder Autofahren ebenbürtig. Dann kann es aber nicht reichen, einfach „Schulen ans Netz“ zur rufen (und sich am besten hinterher noch á la G. Baum zu beschweren, wenn die Schüler sich tatsächlich vernetzen). Vielleicht muss dann wirklich ein eigenständiges Schulfach „Medienkompetenz“ her.