Gesichtsmasken, Abmahnungen und das Anwaltspack in der #Coronakrise

The first thing we do: Let’s kill all the lawyers“  steht im Profil eines Twitter-Accounts dem ich folge, und eigentlich finde ich dieses (Shakespeare-) Zitat ganz schön, vor allem wenn es von jemandem verwendet wird, der selbst seine Brötchen als Rechtsanwalt verdient. Das Schmunzeln darüber bleibt mir allerdings zunehmend im Hals stecken, denn Anfang April 2020 macht sich in sozialen Netzwerken tatsächlich eine Art Pogromstimmung gegen Rechtsanwälte bereit, die mir mehr als nur ein gewisses Unbehagen bereitet. Dabei geht es um (angebliche) Abmahnungen und um Gesichtsmasken. Und genau diese drei Themen versucht der nachfolgende Beitrag zu sortieren.

Richtig: „drei“ Themen, nämlich Gesichtsmasken, Abmahnungen und Pogromstimmung gegen Anwälte.

Webmontags-Host Steffen Voß im Gespräch mit RA Stephan Dirks: “Diese Abmahnungen existieren ganz einfach nicht”. (Externer Link: Twitch, Datenschutzerklärung beachten)

1. Existieren Abmahnungen wegen selbst gebastelter Gesichtsmasken?

Das Netz raunt es: Pass mit Deinen Masken auf, sonst wirst Du abgemahnt! Ich selbst habe allerdings noch keine einzige solche Abmahnung gesehen, und zwar weder auf meinem eigenen Schreibtisch noch habe ich online eine Primärquelle (also etwas, das über bloßes Hörensagen hinausgeht) recherchieren können (Wer sowas tatsächlich hat, gern in den Kommentaren verlinken).

(Nicht nur) mein Kenntnisstand ist zwischenzeitlich der, dass es Abmahnungen gegen Menschen, die selbst gebastelte Gesichtsmasken zum Verkauf oder als Spende anbieten nicht gibt und und dass sich viele darüber aufregen .

Mehr weiß ich nicht. Behalten wir also bei der Bewertung des Ganzen immer auch im Kopf, dass im Zuge der Coronakrise eine Menge Falschmeldungen kursieren und seien wir immer dann besonders skeptisch, wenn eine Meldung, die sich nicht ohne weiteres verifizieren lässt, „ins Bild passt“. Denn gerade dann verfängt sie besonders leicht. (Hinweis: Am Ende dieses Textes gibt es ein Update – Die Behauptung von den Abmahnungen gegenüber Näherinnen ist tatsächlich eine Falschmeldung).

Aber natürlich sage ich damit nicht, dass es diese bisher noch eher im Phantom-Stadium befindlichen Abmahnungen nicht geben kann, denn tatsächlich ist das Szenario nicht nur denkbar sondern auch gar nicht so unwahrscheinlich: dass nämlich anwaltliche Abmahnungen wegen (eventuell auch nur vermeintlicher) Wettbewerbsverstöße ausgesprochen werden, denen Verstöße gegen das Medizinproduktegesetz (MPG) zu Grunde liegen.

Das MPG verbietet es, beim “Inverkehrbringen” von Medizinprodukten diesen bestimmte Eigenschaften irreführend zuzuschreiben (” irreführende Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung”) . Wer nämlich seine Gesichtsmaske „Schutzmaske“ nennt und so bewirbt (zum Beispiel, wenn die Maske online zum Verkauf oder als Spende angeboten wird) der schreibt ihr eine solche “Schutz”-Eigenschaft zu.

Je nach Kontext möglicherweise sogar noch konkreter nämlich zum Beispiel in Bezug auf einen Schutz vor Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus. Das wäre gemessen an § 4 Abs. 2 MPG wohl rechtswidrig und da die Vorschrift eine sogenannte Marktverhaltensregel darstellt können Konkurrenten (!) oder bestimmte Vereine oder Branchenverbände wettbewerbsrechtliche Abmahnungen aussprechen (lassen).

Deshalb sollte man oder frau, wenn schon selbst gebastelte Masken verkauft oder online angeboten werden müssen (hiergegen sprechen aus rechtlicher Sicht sicherlich auch noch andere Gründe als nur das MPG), bei der Bezeichnung und der Zuschreibung von Eigenschaften gut aufpassen. Eine Maske sollte demgemäß eben nur als „Maske“ und nicht als Schutzmaske oder Mundschutz pp. angeboten werden. Näheres dazu findet sich bei den oben bereits verlinkten Kollegen der IT-Rechts-Kanzlei.

2. Wie bitte? Abmahnungen! Während der Krise!?

Ja. Die Koronakrise tobt und ohne Kassierinnen und unterbezahltes Krankenhaus- und Pflegepersonal könnten wir wirklich die Rollläden ganz runterlassen.

Aber sollte deshalb die gesamte Justiz (und zu ihr zähle ich die Anwaltschaft als unabhängiges Organ der Rechtspflege) den Dienst einstellen? Die Rechtspflege auf unbestimmte Zeit auf auf Ordnungsrecht und polizeiliches Tätigwerden beschränken? Bejubeln wir jetzt nur noch Schlagerbeschallung mit Martinshorn durch die Polizei und finden die Durchsetzung von Rechtspositionen, die unsere Rechtsordnung nun einmal vorsieht, so lange moralisch verwerflich, wie es nicht die eigenen Rechte sind die nicht mehr durchgesetzt werden können? Ich frage ja nur.

Letztlich kann jeder natürlich für sich beantworten, was er gerade für “moralisch” richtig hält (Dann aber bitte auch nicht für andere). Wer aber in bestimmten Rechtsgebieten als Rechtsanwalt tätig ist, der muss und wird auch während „der Krise“ Abmahnungen aussprechen und einstweilige Verfügungen beantragen. Wie soll es auch anders sein?

Soll ich denn jetzt jedem, der sich gegen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, gegen eine beleidigende Äußerung in den Medien oder gegen eine rechtswidrige Nutzung seines Bildmaterials oder seiner Marke wehren will, mitteilen, dass sich wegen der grassierenden Pandemie leider derzeit moralisch gehindert bin, mich mit seinen oder ihren rechtlichen Zipperlein zu befassen? Das ist ersichtlich Unsinn.

Und ich finde auch, dass man den dahingehenden Äußerungen, die man von manchen Kollegen online lesen kann, nicht auf den Leim gehen sollte. Zugespitzt ausgedrückt: Genauso wie die „Abmahnindustrie“ ist auch die „Abmahnabwehrindustrie“ nichts anderes als ein gewinnorientiertes Geschäftsmodell, das sich allerdings oftmals mit einer Robin-Hood-Attitüde zu tarnen versteht und deshalb auf den allerersten Blick ein bisschen sympathischer daherkommt. Nur reinfallen sollte man darauf vielleicht nicht.

3. OK. Now, let’s kill all the lawyers

In der aktuellen Abmahnungsdiskussion um die Masken stehen natürlich vor allem „die [vielleicht wohl bisher eher herbeifantasierten] Anwälte“ am Pranger. Immerhin ist es ja ggf. auch der Anwaltsbriefkopf, der auf einer anwaltlichen Abmahnung zu sehen ist. Und nicht der des Auftraggebers.

Aber genau das übersehen viele:

Kein Anwalt kann einfach so Abmahnungen aussprechen.

Er braucht dafür einen Auftraggeber.

Es ist in aller Regel nicht der Anwalt, der beim Auftraggeber klopft und fragt “Kann ich bitte mal eine mittellose Rentnerin für Sie abmahnen? Ich habe gerade zu viele Karmapunkte auf meinem Konto und möchte dies möglichst effektiv ändern”.

Nur wenn dem Auftraggeber eine rechtliche „Abmahnungsbefugnis“ zukommt – wenn er also ein eigenen Unterlassungsanspruch geltend machen kann, den ihm die Rechtsordnung zubilligt, oder dieser Auftraggeber ausnahmsweise berechtigt ist, Rechte Dritter geltend zu machen – nur dann kann es auch zu einer anwaltlichen Abmahnung kommen.

Das mag an der „moralischen“ Bewertung eines Vorgehens gegen Menschen, die ihre Masken „Schutzmasken“ nennen, nicht viel ändern. Es zeigt aber, dass es Unsinn ist, allein Anwälten den “moralischen” schwarzen Peter zuzuschieben. Denn es braucht nun mal jemanden, der einen entsprechenden Auftrag erteilt (“Moralisch” schreibe ich im Übrigen nicht deshalb in Anführungszeichen, weil ich als Anwalt keinen “moralischen” Kompass habe – sondern weil der Begriff einen objektiven Maßstab vorgaukelt, tatsächlich aber ziemlich willkürlich ist).

Und ja: genauso wie es in der übrigen Bevölkerung Menschen gibt, die in „der Krise“ ein Geschäftsmodell wittern (und deshalb Klopapier und Hefe auf eBay verkaufen, Schutzmasken fälschen usw.) gibt es solche Leute sicherlich auch unter der Anwaltschaft. Aber weder ist dies die Mehrzahl, noch ist es unter irgendeinem Gesichtspunkt verwerflich den Anwaltsberuf auch in der Krise auszuüben. Inklusive Abmahnungen und allem drum-und-dran.

Meine persönliche Ansicht dazu ist am Ende auch: die Frage, ob man Anwälte „systemrelevant“ findet oder im Gegenteil, vielleicht lieber alle am nächsten Baum hängen sehen möchte, hängt wohl auch maßgeblich davon ab, ob man gerade eine Anwältin oder einen Anwalt braucht – oder nicht. Soviel zum Thema “Moral”.

Für den eher unwahrscheinlichen Fall dass Sie von einer echten Masken-Abmahnung betroffen sind: Das tut mir leid, aber Sie werden sicherlich online geeignete Kolleg(inn)en finden, die Ihnen gern und (natürlich) kostenlos behilflich sind.

Für mich gilt letzteres leider aus unternehmerischer Vernunft heraus nicht und meine Freizeit ist derzeit anders verplant. Bleiben Sie gesund.

Update:

Auch eine nochmalige Recherche von verschiedener Seite hat – außer der Erkenntnis, dass es dem TV-Sender N-TV offenbar reichlich egal zu sein scheint, was für Kommentare unter seinem bestenfalls irreführenden Bericht zum Thema so veröffentlicht werden – kein Ergebnis gebracht: Die “Maskenabmahnungen” bleiben bislang ein Netz-Phantom. So gibt es zwar einen Twitternutzer, der angeblich aus erster Hand irgendetwas weiß, aber auch er war trotz vielfacher Bitte bisher nicht willens oder in der Lage, wenigstens eine geschwärzte Version auch nur einer einzigen Abmahnung vorzulegen.

Das einzige, was bei weiterer Recherche zu Tage gefördert werden konnte, war eine zwei Wochen alte Abmahnung wegen einer nicht zertifizierten, industriell gefertigten Maske, die ausdrücklich Schutz gegen „Corona“ und „LUX SARS-COV-2“ versprach aber nicht hielt.

Dieser Fall hat also schon in der Sache rein gar nichts mit der Geschichte von der armen, abgemahnten, ehrenamtlichen Selbstnäherin zu tun, wie sie da draußen noch immer erzählt wird, für deren tatsächliche Existenz außer zweifelhaften Behauptungen aber noch immer nichts spricht.

Über Stephan Dirks

Stephan Dirks ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheberrecht & Medienrecht und Inhaber der Kanzlei DIRKS.LEGAL.

2 Gedanken zu „Gesichtsmasken, Abmahnungen und das Anwaltspack in der #Coronakrise

  1. Lieber Ex-Kollege,
    ein Rechtsanwalt muss ja nicht unbedingt ein Mandat annehmen. Tut er dies, macht er sich zum Handlanger des Mandanten und kann seine Hände gewiß nicht in Unschuld waschen, wie es bei Ihnen dargestellt wird.
    U.S. RA a.D.

    1. Lieber Ex-Kollege: Nö, muss man nicht. Und von irgendwelchen Händen, die irgendjemand in Unschuld wäscht, steht nichts da. Nein, auch nicht irgendwie sinngemäß oder so ähnlich oder “quasi”.

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